Komme gerade aus den Kino zurück und schreibe jetzt auch den Bericht, so lange der Eindruck noch frisch ist.
Wieder einmal hat es sich bewiesen, dass, um so eindrucks- und anspruchsvoller der Film ist, in um so weniger Kinos wird er gezeigt und dies wahrscheinlich auch nur für wenige Wochen. Tatsächlich glaube ich, dass "Monsieur Lazhar", in meiner Stadt nur in einem kleinen Programmkino zu sehen, nach zwei Wochen nicht mehr zu sehen sein wird, einfach, weil dann alle Interessenten den Film wahrscheinlich gesehen haben. Wie gesagt, meine Theorie zu anspruchs- und niveauvollen Filmen (hat sich auch bei "Extrem laut..." oder "Der Junge im gstreiften Pyjama" bestätigt).
Achtung Spoiler
Zum eigentlichen Film. Das Kino, wie gesagt, ist ein kleines Programmkino, der Kinosaal war, bis auf ein paar wenige Plätze, voll besetzt und nach, auch ein Vorteil kleinerer Kinos, ganz wenig Werbung ging es los und dies gleich mit einer schrecklichen und verstörenden Szene. Der kleine Simon muss die Milch für die Klasse holen, also schnell die Tetra-Paks eingesammelt und ab mit den Korb ins Klassenzimmer, doch vor der Tür mit Scheibe zum Hineinsehen bleibt er geschockt stehen und lässt alles fallen, was er in seinen zittrigen Händen hält. Seine Lehrerin hat sich im Klassenraum mit ihren blauen Schal erhängt.
Die Schule reagiert, wie man meint, es richtig zu machen. Das Klassenzimmer streichen und eine Psychologin einstellen, die den Kindern helfen soll, die Trauer zu bewältigen. Doch hier liegt das Problem. Eine Psychologin, allein mit einer ganzen Klasse und die anderen Erwachsenen, die das Thema -Selbstmord und Tod- vermeiden und Kinder, die natürlich alle unterschiedlich trauern. Vor allem Simon und Alice, die jeder ihre ganz eigene und bestimmte Beziehung zu der Lehrerin hatten, zwei charismatische Kinder nimmt der Film in den Blickpunkt. Schon zu Beginn merkt man, dass Alice ihren Freund die Schuld für den Tod der Lehrerin gibt. Die hatte Simon einst getröstet und umarmt, ihm ging das zu nah und zu weit. Er hat sich dagegen gewehrt und jetzt ist sie tod, seinentwegen. So empfindet es zumindest Simon, Alice bestärkt dieses Gefühl noch mit ihren eigenen Bemerkungen. Später dann, werden diese Gefühle alle aus Simon herausbrechen. Vor versammelter Klasse.
Doch, bis es so weit ist, beginnt Lazhar, ein algerischer Flüchtling, der selbst ein Trauma zu verarbeiten hat, die Stelle als Vertretungslehrer. Noch selbst ohne dauerhafte Anerkennung und Aufenthaltserlaubnis in Kanada, beginnt er seinen Unterricht auf altmodische und fremde Art, zumindest für die kanadischen Kollegen und seine neuen Schüler. Bänke, nicht mehr im Halbkreis, sondern in gerade Reihen und Diktate mit Texten von Balzac. Und dies bei Elfjährigen. Auch muss er einige kulturelle Grenzen überwinden lernen und sich Gegebenheiten anpassen und doch macht er einiges anders, als seine Kollegen. Er lässt die Kinder reden, auch über den Tod und Freitod der Lehrerin und man erkennt, dass Kinder manchmal klüger sind als Erwachsene. Ein Junge sagt, dass es eigentlich die Erwachsenen seien, die traumatisiert sind und Hilfe bräuchten, nicht die Kinder.
Vor denen hält Alice nach Simon einen Vortrag, in dem sie ihn, mit ihren eigenen Worten beschuldigt, an den Tod der Lehrerin Schuld zu sein. Der Gefühlsausbruch des Jungen ist der Höhepunkt des Films und stärkster Moment. Auch dass Ende von Balchir Lazhar als Lehrer. Die Direktorin eröffnet ihn kurz darauf, dass er gehen müsse, denn man habe erkannt, dass er kein richtiger Lehrer sei. Und so geht Lazhar, nicht ohne sich von der Klasse zu verabschieden, in Form einer selbstgeschriebenen Fabel, die er den Kindern vorließt und absichtlich eingebaute Fehler korrigieren lässt. Nur Alice, die sich inzwischen wieder mit Simon vertragen hat, versteht den Grund dieser Fabel. Am Ende hat Lazhar ihnen geholfen, Trauer zu verarbeiten. So gut es eben geht.
Spoiler ende
So viel zum Inhalt, ich fürchte aber fast, es war zu viel, für alle die, die den Film noch nicht gesehen haben. Tut mir leid.
Der Film überzeugt zum einen durch die Bilder, allesamt ruhig gehalten und sich auf die Personen konzentriert, in schlichten Farben gehalten. Oft verwendetes Element sind hier Fenster, die trennen sollen und Distanzen verdeutlichen. Distanz zwischen ansichten, Verschiedenheit und eben auch, wie schwierig Trauerarbeit sein kann, denn man möchte etwas erreichen, kann aber ganz weit entfernt davon sein, dies zu schaffen. Die Musik ist hier sehr schlicht gehalten, ruhig und gefühlvoll im Hintergrund.
Zu Felag, der den Hautpart des Erwachsenen spielt, gibt es nicht viel zu sagen. Er ist für die Rolle des Lazhar wie geschaffen und gilt zurecht als ein guter Schauspieler. Leider, wie fast alle französischen oder kanadischen Schauspieler hierzulande, verkannt und nahezu auch unbekannt. Hauptpersonen sind aber die Kinder und hier sind besonders Émelien Néron und Sophie Nélisse zu erwähnen. Beide Kinder spielen, besonders für ihr Alter, beeindruckend gut und anspruchsvolle Rollen und jede einzelne Sekunde nimmt man beiden ab. Mit Simon habe ich richtig leiden müssen. Ja, ich bin mitleidend. Der Gefühlsausbruch und das innerliche Zusammenbrechen vor der Klasse hat mich mitgenommen und tief bewegt und wieder musste ich meine Taschentücher in der Nähe wissen. Ich hoffe, ich sehe noch weitere Filme mit diesen Kindern und den Film "Monsieur Lazhar" bald auf DVD oder BR. Die französischsprachige Variante für Kanada gibt es schon, doch, ob es eine deutsche geben wird, wage ich fast zu bezweifeln. Bisher ist mir nichts bekannt. Wer also Informationen hat, immer her damit.
Fazit: Ich kann, wie in diesen Jahr schon bei "Extrem laut und unglaublich nah." meine volle Empfehlung aussprechen. Ohne Abzüge. Wer den Film aber schauen will, sollte sich aber beeilen (siehe meine Theorie). Es ist ein anspruchsvoller bewegender und berührender Film, den man danach nicht so leicht abschütteln kann. Der Film regt an, sich Gedanken zu machen, wie man Kinder sehen sollte, mit Trauer umgehen sollte und dass man manchmal Grenzen überschreiten und neue Wege bestreiten muss, wenn man helfen möchte, etwas zu verändern, zu verarbeiten.
Ich hoffe, ich bin mit dieser Rezession den Film gerecht geworden und habe euch animiert, ins Kino zu gehen, den Film zu schauen. Ich würde dann gern, wie auch bei "Extrem laut..." eure Meinung erfahren.
Euer samuel.