In der Schweiz ist der Film bei Pelicanfilms in einer vorbildlichen Umsetzung auf DVD erschienen. BD gibt es nicht.
Die DVD bietet die italienische Originalsprachfassung sowie eine hochdeutsche und eine französische Synchronfassung und noch eine hochdeutsche Audiodeskription für Sehbehinderte, dazu Untertitel in Deutsch, Englisch, Französisch, Spanisch und Menüführung in allen Sprachen. Bonus: Trailer, Making of, Interview mit dem Regisseur
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Cast:
Armando Condolucci - Nic
Marco D'Orazi - Agostino
Francesco Huang - Lee
Fiorella Campanella - Marie
Chiara Scolari - Patty
FILMBESPRECHUNG
Die zerrüttete Ehe der Eltern macht den gemeinsamen Familienurlaub auf einem Campingplatz am Meer für die Brüder Nic und Agostino zu einer eher deprimierenden Unternehmung. Dem ständigen Streit und den gewalttätigen Übergriffen von Vater Vincenzo auf die Mutter versuchen die Jungen wenigstens tagsüber durch Streifzüge in die Umgebung zu entfliehen.
Am Strand treffen sie auf die vaterlose Marie, die mit ihrer Mutter hadert, weil diese ihr nichts über den Vater sagen will, und auf den chinesischen Jungen Lee, dessen Eltern den Kiosk bewirtschaften. Wie das bei Kindern so ist, nach einigen Reibereien finden sie zum Spielen zusammen. Die Langeweile ist schlimmer und die Abenteuerlust größer, als daß man sich in der öden Gegend dauerhaft aus dem Weg gehen könnte.
Es sind skurrile und makabere Spiele, die sich der 12jährige Nic ausdenkt. Nic hat sich antrainiert, keinen Schmerz zu fühlen. Marie ist abgestoßen und zugleich fasziniert von Nics quälerischen Fantasien.
Nic sucht mit der herbeigewünschten Empfindungslosigkeit gegen die Ohnmacht angesichts der Mißhandlung der Mutter anzukämpfen. In dieser Verfassung ist es für ihn schwierig, sich seiner aufkommenden Gefühle für Marie sicher zu werden. Liebe für ein Mädchen zu verspüren, das ist etwas ganz Neues, das Nic nicht an sich heranlassen will. Zu abschreckend steht das negative Vorbild der elterlichen Beziehung über ihm...
In einem Maisfeld und einem Schuppen finden die Kinder ein Refugium. Die bizarren "Sommerspiele" haben einen transitorischen Charakter. Sie helfen den Kindern bei der Loslösung von ihren Eltern, bei der Überwindung der nicht intakten Familienverhältnisse; und sie führen sie in den Beginn der Pubertät, in ein Hineinwachsen in Selbstbestimmung. Deutlich wird das bei Nic, wie er beginnt sich dem autoritären Vater offen zu widersetzen; bei Marie durch ihr trotziges Stochern nach der Identität ihres unbekannten Vaters.
Nic befreit sich von der traumatischen Erfahrung mit dem gewalttätigen Vater. Der Junge kämpft gegen das schreckliche Gefühl, in seinen Genen etwas von der schlechten Seite des Vaters geerbt zu haben. Er häutet sich durch Selbstkasteiung, um seine wahre Persönlichkeit zu finden. In einer emotional aufgeladenen, dramatischen Notsituation schließlich entscheidet sich Nic, den Bruch mit dem Vater zu besiegeln. Mit einem Befreiungsschlag durchtrennt er das Band. Jetzt ist sein Weg frei für ein Aufleben seiner eigenen Gefühlswelt.
Vincenzo ist so ein Arschloch, ein armseliger Wurm. Der komplexbeladene, cholerische Macho schlägt und tyrannisiert seine Frau. Er will nicht akzeptieren, daß sie sich scheiden will. Nic fühlt sich hilflos dem häßlichen Streit ausgeliefert. So gut er kann, versucht er seinen kleinen Bruder vor dem seelischen Leid zu schützen, das Vincenzos entwürdigender Umgang mit der Mutter auslöst. Die wenigen glücklichen Momente, die die vierköpfige Familie in diesen Ferien zusammen erlebt, werden immer wieder brutal zerstört durch die pöbelnden Wutausbrüche und Prügelattacken von Vincenzo, der stets danach mit Entschuldigungen angekrochen kommt, die er sich am Ende selber nicht mehr abnimmt.
Am letzten gemeinsamen Ferientag planen die Kinder noch eine besonders aufregende Unternehmung. Marie bekommt die Antwort auf ihre bohrende Frage, nun kann sie mit ihrer inneren Unruhe Frieden schließen. Zu verdanken hat sie das letztlich Nics klugem Engagement. So gelangt dann auch er zum Ziel. Nach langem vergeblichem Werben gewinnt der Junge endlich Maries zärtliche Zuneigung. Denn erst jetzt, wo sich der Knoten in ihr aufgelöst hat, wo sie Gewißheit über ihren Vater besitzt, kann sie ihre Gefühle wieder laufen lassen.
In diesen letzten Filmsequenzen, den Momenten des glückserfüllten Erwachens in einer neuen Welt, einem neuen Lebensabschnitt für Nic und Marie, läßt Regisseur Rolando Colla den über den ganzen Film hinweg vorgehaltenen tristen Schleier fallen. Plötzlich blühen und leuchten die Bilder auf in einer Klarheit, Schärfe und Farbintensität, die zuvor gefehlt hat. Wenn man Kinder unter der italienischen Sommersonne filmt, kann man wenig falsch machen, so möchte man gerne glauben. Doch die Sommerstimmung allein garantiert kein Paradies, solange die Seelen in Kummer gefangen sind. Armando Condolucci, der Darsteller von Nic, spielt mit traurigem Blick diesen bedrückten Jungen, der seinem Körper entfliehen möchte, sich regelrecht betäubt, damit er das ausweglose Familiendrama leichter ertragen kann. Zugleich brennt in dem Jungen die Sehnsucht, wieder Gefühle zu bekommen, Marie liebhaben zu können, und ihr zu helfen, Freude zu empfinden. Wunderbar ist das zarte Lächeln, das Armando in sein so lange versteinertes Gesicht fließen läßt, als Maries Berührungen Nic buchstäblich wachküssen.
Das schwere Thema Gewalt in der Familie erfährt in "Giochi d'estate" zumindest für den heranwachsenden Jungen Nic eine tröstliche Heilung.
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