Unsere Geschichte beginnt auf einer öffentlichen Toilette irgendwo in München. Es ist früher
Samstagnachmittag, kurz nach halb zwei.
Der Flurfunk meldet keine besonderen Vorkommnisse. Achja doch, die Garderoben-Preise
im Gasteig haben eine inflationäre Entwicklung genommen und befinden sich jetzt dort, wo
der Liter Super Anfang Juni bereits Zwischenstopp gemacht hatte: bei 1 Euro 30. Ich erkundige
mich nach der erlaubten Größe von Taschen, die mit in den Saal genommen werden dürfen:
"Naja, so Handtasche eben", grummelt mir ein Obernachtwächter entgegen, der sich sogleich
daran macht, seine blauen Hostessen in die Tiefen der Zugangsordnung einzuweisen. "Blau,
grün, gelb, rosa - alle brauchen Tickets. Keinen so reinlassen. Weiß. Ah weiß, das sind die
Mitarbeiter - die dürfen doch so überall rein. Also nur weiß." Okay, denk ich mir, dann eben
weiß - weißte Bescheid.
13.50 Uhr. Die Türen zum Carl-Orff-Saal öffnen sich. Etwas langsam voran heute hier.
Karten abreißen ging auch schonmal schneller. Die Sitze erinnern eher an "Napoleon
zwischen Alpen und Antike" als an großes Kino. Aber die Ansprüche sind ja schon
gesunken, nachdem ich beim Dok.Fest vor 5 Wochen das Kulturzentrum wegen der
unerhörten Pflicht-Preise an der Garderobe boykottiert hatte. Der Saal wird jetzt voll,
der Zeiger meiner Uhr passiert die 2-Uhr-Marke und rennt unaufhörlich weiter nach vorn.
Akademische Viertelstunde - wie passend.
14.15 Uhr. Auch die Mützen sind eingetroffen. Johann Hillmann, Konrad Baumann und
Lea Eisleb erklimmen im Scheinwerferlicht die sehr breite Bühne und stellen sich vor.
Johannes Schmid - seines Zeichens Regisseur - kommt dazu. Und dann auch die Tante
vom Kinderfilmfest - Katrin Hoffmann.
Festivalleiter Andreas Ströhl ist in bester Kosslick-Manier kurz zur Eröffnung da,
bringt seine unbändige Freude zum Ausdruck und verschwindet alsbald. Weitere
Infos folgen noch: Fragestunde hinterher, Autogramme hinterher, Überraschung
hinterher. Aha. Gut dann kann der Film ja starten.
"Blöde Mütze!" ist das Langfilmdebüt von Johannes Schmid, der das gleichnamige
Buch seines Bruders Andreas im letzten Sommer verfilmt hat. Seine Uraufführung
erlebte das Werk
auf der Berlinale,
da Regisseur und Hauptdarsteller Konrad Baumann aber in München zuhause sind und
der Bayerische Rundfunk einer der Hauptinvestoren ist, erhob man ihn dennoch zum
Premierenfilm des 25. Kinderfilmfestes. Handlung und Weise, Bilder und Trailer findet Ihr auf der
offiziellen Website, die sogar mit dem schönen
Soundtrack des Films untermalt ist. Alles in allem
schlicht und ergreifend ein
schöner Film, den ich bereits am ersten Tag gute Chancen auf den Jetix-Award einräumen
darf. Johann Hillmann, Konrad Baumann und Lea Eisleb stehen hinterher für Fragen
zur Verfügung - Johann dreht gerade in Spanien eine Sat.1/Highlight-Film-Coproduktion,
Konrad ist auch beschäftigt (Wilde Kerle 5??) und Lea darf bei "Dr. Kleist" ran (was
sie aber anscheinend nicht positiv für ihr Image wertet).
Am Ausgang werden an die Kids Mützen verteilt - als Werbeaktion des BR, der den Film
im Spätsommer
ins deutsche Kino bringt. Also vormerken!
Soviel zum deutschen Kinderfilm heute. Zurück zur Garderobe und raus ins (windige)
Freie. Ich nutze die Pause, mich auf dem Weg zum MaXX mit Nahrung einzudecken. Große
Auswahl gibts heute nicht. Vorm umfangreichsten Festival-Kino
(auch das meines Wissens einzige Multiplex-Kino in Deutschland, das zum Festival seine
Sääle komplett zur Verfügung stellt) stehen sich die feinen Herrschaften bereits die Beine
in den Bauch. Worauf die wohl warten? Steve Buscemi? George Lucas? Thomas Hailer?
Kommen heute alle nicht, soviel ist sicher. Kino 3 wird erst um 17.15 Uhr aufgemacht,
solange darf man sich an der Konsum-Theke noch mit Popcorn und Brause eindecken,
derweil ich im "Filmecho" lese, dass die CinemaXX AG im Geschäftsjahr 2006 wieder
ein leichtes Umsatzplus erzielt hat - trotz WM. Naja, bei den Preisen und den
Mainstream-Movies... Johnny Depp und Piratenluders führen die Charts derzeit
schon wieder an und lassen die Kassen kräftig klingeln. Soll nicht meine Sorge sein.
Es wartet
"Delirious" von Tom DiCillo - ein süffisanter Trip durch New Yorks
Paparazzi und Sternchen-Welt (
Cast und Infos).
Steve Buscemi überzeugt wieder einmal, auch wenn er kurz vor Ende für einige Minuten
seinen obligatorischen psychopathischen Totalschaden annimmt. Der junge
Marcus
Collins als "Toby. Just Toby." war mir bislang unbekannt und kommt eher wie
ein potenzieller "Scary Movie"-Nebendarsteller daher, etwas sehr schmierig und
schleimig, gar bärtig dazu - für diese Rolle als Assi des kauzigen Starfotografen
erscheint er allerdings geeignet. Ein kurzweiliges Filmwerk, aus Amiland und
trotzdem independent genug. Wann gibts sowas schon einmal.
War die Wartezeit zwischen zwei Filmen eben noch sehr langatmig, so beginnt
jetzt die heiße Phase. Primetime in München heißt auch Primetime bei der
Sitzschlacht vor der Leinwand. Die Isarmeile ist pickepackevoll mit "Wir stellen
den Weltrekord im Langsam-Gehen ein"-Chinesen und auch der schleichende
Autoverkehr gebietet dem keinen Einhalt. Im Forum auf der Museumsinsel haben
sie jetzt auf HD-Digitalprojektion umgestellt und werben mit "Harry Potter 5" ab
Ende Juli als "Besser als HD!"-Kinofilmpremiere. Von der "Qualität" dieser
Technik dürfen wir uns schnell überzeugen, als nach knackiger lustiger -
italienischer eben, Luca Toni kommt ja auch bald - Einführung von Regisseur
und Hauptdarsteller - der Film
"Salvatore - Questa é la vita" (Salvatore - This is Life)
beginnt. Nicht lange und in dem aufsteigenden 3D-Imax-Kino fällt die Rolle
komplett aus dem Rahmen - nachdem bereits die ersten drei Filmminuten ein
weißer Flimmerbalken den unteren Bildrand beschädigt hatte. Da war
sie wieder - die Farbe Weiß. Ich glaub, die werden hier inoffiziell noch
von Caparol mitfinanziert. Schon "Delirious" hatte zu Beginn Startprobleme,
die bajuwarischen Filmvorführer brauchen dringend einen Auffrischungskurs.
Auch der letzte Film heute - später am Abend - startet nicht ohne Komplikationen,
wenn ich das mit Berlin vergleiche, leben wir hier im Mittelalter. Aber zurück
zum Stiefel.
In dem Film geht es um einen sizilianischen Jungen, der innerhalb kurzer Zeit
beide Eltern verliert - den Vater sogar vor eigenen Augen. Nun muss er sich
alleine um Schwester und Oma kümmern, Geld verdienen durch Tomatenzucht
und hat entsprechend keine Zeit und keinen Willen mehr, die Schule aufzusuchen.
Das ruft seinen Klassenlehrer und die Sozialbehörden auf den Plan. Und das Tauziehen
beginnt. Der Lehrer unterrichtet ihn daheim, dem Staat reicht das nicht. Ein
melodramatischer Mittelmeer-Film, durchschaubarer als
"Lampedusa", nicht
so schön wie
"Io non ho paura", aber immer noch sehenswert. Wer einen gemütlichen mediterranen Abend sucht, bitteschön.
Leider konnte ich den Film nicht komplett zuende schauen, denn durch südeuropäische
Zeitverschiebung im Publikum und wie erwähnt in der Vorführkabine (Münchens Italiener
waren wohl zahlreicher vertreten als alle anderen), begann die Vorstellung mit fast einer
halben Stunde Verspätung, was mich die letzten zehn Minuten kostete, wollte ich
noch wieder rechtzeitig zurück im MaXX sein, um mir zum Ende des Tages noch einen
klassischen deutschen Krimithriller zu geben.
22 Uhr. MaXX 5. Wieder alles voll. Ich bekomme nur noch einen Platz am Rand der fünften
Reihe, nachdem man mich zweimal ziemlich klamm bei Nachfragen anderer (freier)
Plätze abwimmelte.
"Alte Freunde" ist ein ZDF-Film und läuft als "Neuer deutscher
Fernsehfilm". Es geht um sechs Motorrad-Freunde, die mehr als ein dunkles Geheimnis
haben und nun schon wieder einen Coup planen. Zunächst stirbt einer und später dann noch
einer. Der Film überrascht mit einigen Wendungen und hebt sich wohltuend vom
TV-Einheitsbrei am Lerchenberg ab. Das hätten auch Leo Kress und der Zimmermann-Ede
nicht besser gekonnt. Am Ende also Teamsitzung und Dauerklatschen.
Angeblich soll sich der Film in der Top-3-Auswahl auf den Preis seiner Sektion
befinden. Und diese Info aus der Moderatorentussi Marke "Blond und blöd", die es nach
der Vorstellung nicht einmal schafft, die versammelte Mannschaft den durchaus im Raum
schwirrenden Publikumsfragen zuzuführen und stattdessen nur zugekokst in die Gegend
glotzt, bis sich der Saal in seine Einzelteile zerlegt. Den Abgang von Jürgen Vogel
fängt eine anscheinend sehr enthusiastische Filmstudentin ab, die ihn sogleich nach
seiner Einschätzung des Münchner Festivals im Vergleich zur Berlinale löchert und
Vogel dies nur mit einem mürrischen "Das kann man nicht vergleichen. Ich war schön
öfter hier" quittiert. Vorm Kinosaal nochmal kurzes Blitzlichtgewitter, bevor der freie Wille
des deutschen Kinos über zig Treppenstufen und durch die Eingangshalle in der Dunkelheit
vorm Isartor verschwindet. 23.53 Uhr. Auch ich bin dann für heute mal weg glaub ich.
Die U-Bahn krieg ich noch. So gerade.
Und morgen bei "Lost in Celluloid" lest Ihr:
- warum Markus Krojer und Marcus Rosenmüller nie wieder einen Film zusammen machen wollen;
- wie viele Mützen Johann Hillmann während seiner Sonnencreme-Sessions mit Lea Eisleb aufgekaut hat;
- warum die "Shocking Shorts" am Freitag mit 13 Minuten Verspätung beginnen;
- wie ich die Garderoben-Frau zusammengefaltet habe;
- und die besten 10 Tipps für den Ticketkauf im Gasteig (als Gast dabei ist "Mr. 2 Minuten").