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Renko

König

Registrierungsdatum: 19. September 2003

Beiträge: 128 Aktivitäts Punkte: 755

1

Mittwoch, 15. September 2004, 09:46

Auskunft bitte

"Auskunft bitte"

Text (in alter Rechtschreibung belassen):

Ich war noch ein kleiner Junge, als bei uns das Telefon eingeführt wurde. Wir hatten daheim einen der ersten Apparate, und ich erinnere mich noch gut an den polierten Eichenholzkasten, der auf dem unteren Treppenabsatz an der Wand befestigt war. Der blanke schwarze Hörer hing seitlich am Kasten. Ich weiß sogar noch die Nummer: 105. Selber konnte ich ihn noch nicht erreichen, hörte aber immer gespannt zu, wenn meine Mutter zu ihm redete. Einmal hob sie mich hoch, damit ich mit meinem Vater sprechen konnte, der auf Reisen war. Zauberei!

Dann machte ich die Entdeckung, daß im Innern dieses Wunderlings ein geheimnisvolles weibliches Wesen wohnte. Sein Name war "Auskunft bitte", und es gab nichts, was dieses Wesen nicht wußte. Meine Mutter konnte nach jeder Nummer fragen, und wenn unsere Uhr mal stehenblieb, gab "Auskunft bitte" augenblicklich die richtige Zeit an.

Mit dieser Fee im Telefon kam ich zum erstenmal in Berührung, als meine Mutter eines Tages bei einer Nachbarin zu Besuch war. Ich spielte im Keller an der Drehbank und schlug mir aus Versehen mit dem Hammer auf den Finger. Es tat fürchterlich weh, aber heulen hatte keinen Zweck, weil ja keine mitfühlende Seele da war. Ich lief, an dem schmerzhaft pochenden Finger saugend, im Haus umher und kam schließlich an die Treppe. Das Telefon! Rasch lief ich nach der Fußbank im Wohnzimmer und schleppte sie ins Treppenhaus, kletterte hinauf, nahm den Hörer ab und hielt ihn ans Ohr. "Auskunft bitte" piepste ich in das Mundstück dicht über meinem Kopf.

Es klickte ein-, zweimal, und dann sagte eine sanfte, deutliche Stimme mir ins Ohr "Auskunft".
"Ich hab' mir auf den Finger ...", jammerte ich in das Mundstück. Jetzt hatte ich einen Zuhörer, und sofort kamen mir die Tränen.
"Ist deine Mutter daheim?" kam die Frage.
"Niemand ist da, bloß ich", schluchzte ich.
"Blutet's?"
"Nein, ich hab' mit dem Hammer draufgehauen, und es tut weh."
"Kannst du euren Eisschrank aufmachen?" fragte die Stimme. Ich sagte ja, das könne ich. "Dann hack dir ein kleines Stückchen Eis ab und halt es dir an den Finger. Das wird den Schmerz stillen. Aber sei vorsichtig beim Zerkleinern", mahnte sie. "Und nicht weinen! Es ist bald wieder gut."

Von da an rief ich bei jeder Gelegenheit "Auskunft bitte" zu Hilfe. Ich fragte sie, wo Philadelphia liege und der Orinoko, der Strom meiner Träume, den ich erforschen wollte, wenn ich groß war. Sie half mir bei meinen Rechenaufgaben, und sie riet mir, mein Eichhörnchen, das ich am Tag zuvor gefangen hatte, mit Obst und Nüssen zu füttern.

Dann starb Peter, unser Kanarienvogel. Ich rief "Auskunft bitte" an und berichtete ihr das traurige Ereignis. Sie hörte zu und sagte dann, was Erwachsene zu sagen pflegen, um ein Kind zu trösten. Aber ich war untröstlich. Warum war das so, daß Vögel so schön singen und der ganzen Familie Freude bringen und dann als ein Häufchen Federn, die Füßchen nach oben, auf dem Käfigboden liegen?
Sie muß wohl gespürt haben, wie nahe es mir ging, denn sie sagte still: "Paul, denke immer daran, daß es noch andere Welten gibt, in denen man singen kann."
Irgendwie war mir danach leichter ums Herz.

An einem andern Tag war ich wieder einmal am Telefon: "Auskunft", sagte die nun schon vertraute Stimme.
"Wie schreibt man 'fix' ?" fragte ich.
"F-i-x."
In diesem Augenblick kam meine Schwester, die mich immer absichtlich erschreckte, mit fürchterlichem Gekreisch die Treppe herunter gesprungen. Ich fiel von der Fußbank und riß dabei den Hörer aus dem Kasten. Wir waren beide starr vor Schreck.
"Auskunft bitte" war nicht mehr da, und mir war himmelangst, daß ich sie durch das Herausreißen des Hörers verletzt haben könnte.

Ein paar Minuten später stand ein Mann in der Tür. "Ich bin der Telefonmechaniker", sagte er. "Ich habe gerade in der Straße hier gearbeitet, und das Telefonfräulein sagte mir eben, bei der Nummer hier sei anscheinend was nicht in Ordnung." Er griff nach dem Hörer in meiner Hand. "Was ist passiert?"
Ich sagte es ihm.
"Na, das werden wir gleich haben." Er öffnete den Kasten, und ein Gewirr von Drähten und Spulen kam zum Vorschein. Dann hantierte er eine Weile mit dem Ende des Hörerkabels, zog da und dort mit einem kleinen Schraubenzieher ein Schräubchen an, drückte ein paarmal auf den Haken und sagte dann in den Apparat: "Hallo, hier Fred. Alles in Ordnung bei 105. Die ältere Schwester hat den Kleinen erschreckt, und er hat das Kabel 'rausgerissen."
Er hängte ein, lächelte, strich mir über den Kopf und ging zur Tür hinaus.



(...)
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Myles

Imperator

Registrierungsdatum: 30. Mai 2004

Beiträge: 635 Aktivitäts Punkte: 3 415

Wohnort: Berlin

2

Mittwoch, 15. September 2004, 15:37

@Renko Das ist eine sehr schöne Geschichte Danke :knuddel_2: Aber ich wüsste schon gerne wie es weiter geht. :)
:tanz:
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JoJo

Spaminator

Registrierungsdatum: 9. Januar 2003

Beiträge: 3 953 Aktivitäts Punkte: 20 475

3

Mittwoch, 15. September 2004, 16:31

Ja... ne nette Geschichte...

vorallem weil sichs jeder bildlich vorstelln kann ....
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Renko

König

Registrierungsdatum: 19. September 2003

Beiträge: 128 Aktivitäts Punkte: 755

4

Donnerstag, 16. September 2004, 10:43

Zitat

Original von Myles
(...) Aber ich wüsste schon gerne wie es weiter geht. :)


Na dann werde ich mal alles Nötige veranlassen. ;) Lass mir ein paar Tage Zeit - denn das große Buch muss erst wieder auf den Scanner gelegt werden (zum Abtippen bin ich zu faul).
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