Und ein weiterer Tag aus Frankfurt...
FILME IM WETTBEWERB
Weiter als der Mond
(Verder dan de Maan)
Niederlande/Belgien 2003, Regie: Stijn Coninx, Spielfilm, 105 Minuten
ab 10 Jahren
Der Film spielt Ende der 60er Jahre und erzählt die Geschichte der neunjährigen Caro und ihrer Familie, die in einem kleinen Dorf in Holland leben. Während sich Caro auf ihre Kommunion vorbereitet, sorgt im Dorf die bevorstehende Mondlandung des Raumschiffs Apollo 11 für Aufregung. Caro hat andere Sorgen. Sie ist die einzige in der Klasse, die noch nicht schwimmen kann und zu Hause beobachtet sie, wie ihr Vater heimlich trinkt. Um ihn zum Aufhören zu bewegen, schließt sie einen Vertrag mit ihm und überwindet ihre Angst vorm Schwimmen. Es scheint gut zu gehen. Bis ihr Vater während ihrer Kommunionsfeier betrunken auftaucht. Für Caro bricht eine Welt zusammen.
Meinung: Das typisch mitteleuropäische Kinderdrama fokusiert mehr oder minder alltägliche Lebenserfahrungen aus stinknormalen Kinderwelten. Die starke Story und die guten Darsteller lassen den Film spannend bis zum Schluss - fesselnd für Kinder ebenso wie für Erwachsene - beeindrucken. Ohne überzogen humoristisch daherzukommen, beleuchtet die Geschichte der kleinen Caro Lebensprobleme in der vorpubertären Phase ebenso wie schlimme Alltagssorgen in der "heilen Welt der Großen". Mit "Weiter als der Mond" ist Stijn Coninx eine kleine Filmperle gelungen, die sicherlich noch von sich hören lassen wird. Absolut sehenswert!
vorläufige Wertung: 4,5 von 5 Punkten
Suske und Wiske
(Suske & Wiske - De Duistere Diamant)
Belgien/ Deutschland 2004, Regie: Rudi van den Bossche, Spielfilm, 90 Minuten
ab 6 Jahren
Suske und ihr Bruder Wiske verbringen die Sommerferien auf einem Landgut in den Niederlanden, auf dem nicht alles mit rechten Dingen zuzugehen scheint. Gegenstände bewegen sich wie von Geisterhand gelenkt. Im Wald findet Wiske einen geheimnisvollen dunklen Stein, den er seiner Tante schenkt. Er weiß nicht, dass es sich um einen Zauber-Diamanten handelt: Wer ihn verkauft, dem drohen Krankheit und Tod. Prompt lässt sich die Tante den Stein von einem reichen Baron abkaufen. Um ihr Leben zu retten, müssen Suske und Wiske in eine Zeitmaschine steigen und sich auf eine gefährliche Reise ins 15. Jahrhundert begeben.
Meinung: "Suske und Wiske" - oder, wie wir zu deutsch sagen würden: "Vorsätzliche Körperverletzung". Die alberne Story wird nur noch durch stupide Charaktere getoppt, die außer Dumm-Dumm-Humor Marke Beavis und Butthead nicht viel auf dem Kasten haben. Dem Film ist zugute zu halten, dass er auf einem Comic aufbaut und daran ähnlich wie "Scooby Doo" zugrunde geht, die entscheidende Frage ist allerdings: Wer liest sowas? Sicherlich, dem jüngeren Publikum stößt diese verkehrte Welt - erwachsene Trottel als den Kindern Unterlegenen - wie ein schöner Traum auf, welcher für neunzig Minuten ein nachvollziehbares Wunschdenken in die Realwelt transportiert - unsere Zustimmung erfährt er dadurch aber noch lange nicht. Die beiden jungen Titeldarsteller geraten vollkommen in den Hintergrund in einer Geschichte, die in zwei Sätzen erzählt wäre. Der Titel des Films muss als billiges Alibiargument herhalten - ohne diese bekannten Namen hätte er wohl keinerlei Aussicht auf Erfolg. Technisch auf hohem Niveau - Kamera, Sound, Schnitt - alles passt, vergibt der Film die großartige Chance, dem Realfilm nach Comicvorlage neue Horizonte zu eröffnen. Zuviel Geld für Special Effects ausgegeben, mag manch einer denken - den Kindern ist es wohl egal, sie werden die Badewannenstöpsel-IQ-Charaktere lieben. Allein deshalb und wegen der guten Technik schrammt der Streifen knapp an der miesesten Wertung vorbei. Aber bitte, liebe Produzenten: Bitte bitte erspart uns eine Fortsetzung!
vorläufige Wertung: 2 von 5 Punkten
Villa Henriette
Österreich 2004, Regie: Peter Payer, Spielfilm, 84 Minuten
ab 11 Jahren
Marie lebt in einem ganz besonderen Haus: Ihre Villa Henriette hat Eigenheiten wie ein Mensch. Missachtet man diese, reagiert sie mit verstopften Wasserleitungen oder macht ihrem Ärger mit anderen Baufälligkeiten Luft. Als Maries Großmutter, die sich als glücklose Erfinderin betätigt, ihr gesamtes Geld verliert und das Haus versteigert werden soll, ist für die 12 Jahre alte Marie eines sofort klar: Sie wird die Villa nicht verlassen. Auf ihrer Seite sind Stefan und Konrad - beide allerdings nur so lange wie sich Marie nicht entscheidet, welcher der beiden ihr Freund sein darf.
Meinung: Jugendliche Entwicklung, hormonelle Störungen, der erste Kuss und "mal was Neues" bestimmen diesen toll gemachten Film nach der Kinderbuchvorlage von Christine Nöstlinger (als Hausmeisterin sogar selbst mitspielend). Es ist kein reiner Kinderfilm mehr, wenn populäre Schauspieler wie Lars Rudolph oder Cornelia Froboess und allen voran Nachwuchstalent Hannah Tiefengraber zeigen, was in ihnen steckt. Seinen Kinderschuhen längst entwachsen, spricht er vor allem Teenager an, für die das Erwachsenwerden eine große Herausforderung darstellt und die an ihren erreichten Zielen stetig wachsen. Soundtechnisch top, lässt sich der Film vor allem von der hervorragenden Kameraarbeit tragen - viele Einstellungen bedürfen keiner Dialoge mehr, nicht einmal menschlichen Elementen - sie sprechen für sich, genau wie das gutmütige Haus namens Henriette (gesprochen von Nina Hagen), welches den Zuschauern modernes Wohnen aus ganz neuer Perspektive zeigt. Die schöne Idee wird 84 Minuten charmant und dem Kino zuliebe perfekt umgesetzt - keine Minute zu kurz oder zu lang. Viele kleinere lustige, nachdenkliche, interessante Momente gestalten die Reise durch Höhen und Tiefen gemeinsam mit Marie und ihrer Sippschaft zu einem unvergesslichen Trip ins Kino-Erlebnis. Wer einmal "etwas anderes" sehen möchte, ist hier bestens aufgehoben. Nur wenige Kinderfilme werden in Österreich produziert - noch wesentlich weniger als in Deutschland. Wenn das Ganze dann aber so endet wie hier, soll uns das recht sein.
vorläufige Wertung: 5 von 5 Punkten
unsere Tagesempfehlung
Und nun die Sondervorstellungen im Kurzabriss:
SPECIAL OSTEUROPA
Im Gully
(Kratka)
Polen 1996, Regie: Pawel Lozinski, Spielfilm, 50 Minuten
ab 10 Jahren
Der zehnjährige Sebastian und der Rentner Eugeniusz bemerken auf ihrem Weg in die Stadt, wie eine Touristin versehentlich einen 500-Franc-Schein verliert. Er fällt durch das Gitter in einen Gully. Zwischen den beiden entbrennt ein heftiger Streit um ihren Fund. Gerade als Sebastian die Oberhand zu haben scheint, fährt ein Lieferwagen vor und parkt genau über dem Abflussgitter. Jetzt müssen sich die beiden wohl oder übel wieder zusammenraufen, um das Hindernis aus dem Weg zu räumen...
(Lobende Erwähnung beim Internationalen Kinderfilmfest Berlin 1997)
Meinung: Mit vielen Vorschusslorbeeren bedacht, weiß dieser Film perfekt zu verwirren. Die augenscheinlich klar erkennbare Botschaft von Freundschaft selbst im Hass wird viel zu oft untergraben, als dass wirkliche Klarheit aufkommen könnte. "Im Gully" zeigt alles Negative dieser Welt zentriert auf eine Handlung - man weiß nicht mehr, ob man sich jetzt noch in einem fiktionalen Werk oder schon in einer TV-Reportage befindet. Harte, oft unangenehme Konfrontationen mit der harten Wirklichkeit im Warschau von heute - was auch auf viele andere Städte, selbst in Deutschland wiederzufinden sein mag - passen so gar nicht in das Gesamtbild eines Kinderfilmfestivals. Weder pädagogisch wertvolle noch positiv unterhaltende Elemente sind auszumachen - auf den ersten Blick nicht, auf den zweiten und dritten immer noch nicht. Die Intention bleibt unklar - genauso wie die Antwort auf die Frage nach den Gründen seines Erfolgs. Seine in sich weder negative noch positive Realitätsnähe ist beeindruckend, seine Herangehensweise an Kinderwelten schockierend. Was bleibt, sind viele Fragezeichen.
ohne Wertung, da kein Wettbewerbsbeitrag
Das Sommeralbum
Litauen/Deutschland 1991, Regie: Kai Wessel, Spielfilm, 95 Minuten
ab 8 Jahren
1905, es ist Sommer und Josefine langweilt sich. Wie jedes Jahr ist sie mit ihrer Mutter in Ferien an die kurischen Nehrung in Litauen gefahren. Ihre Brüder haben keine Lust mit ihr zu spielen. Sie werken lieber im Schuppen an einer „geheimen“ Sache. Erst als Josefines Vater zu Besuch kommt und der Elfjährigen einen Fotoapparat schenkt, sind die Ferien gerettet. Jetzt ist Josefine nur noch unterwegs, um Bilder zu machen. Und dann weihen auch ihrer Brüder sie in ihr Geheimnis ein: Sie bauen an einem Fluggerät, das sie am Ende der Ferien erproben wollen. Josefine soll das riskante Unternehmen fotografieren.
Meinung: Dieser in drei Handlungsteile (Einführung, Fotografie, Gleitflieger) aufgesplittete Film stellt auf nette und zugängliche Weise die Anfänge des modernen Fortschritts Anfang des letzten Jahrhunderts dar; in Zeiten, wo alles noch in Handarbeit geschehen musste, ohne dass man nur ein buntes Knöpfchen drückte wie bei Digitalkamera, Boeing 747 oder Windows XP. Gute Ansätze gehen leider oft in hölzernen, wie auswendig gelernt klingenden, Dialogen unter - die Schauspieler erscheinen anfangs wie direkt aus der Fußgängerzone gecastete Amateure. Erst mit Fortschreiten der Handlung um Josefine und ihre Familie lernt der Zuschauer, sich in die Lebenswelten einer anderen Zeit einzufinden. Josefine bleibt dabei die Einzige, die wir wirklich kennenlernen - zu aufgesetzt und lebensfremd kommen die anderen Charaktere daher - wohl beabsichtigterweise. Man lernt sie gar nicht richtig kennen, was sicherlich schade, aber für den Film nur wenig schädlich ist. Ein Fotoalbum als Ergebnis der Erlebnisse eines Sommers beschließt den Film, nicht ohne einen augenzwinkernden Blick nach vorne zu werfen: Ein reingeklebter Gleiter in einer schwarz-weißen Foto-Landschaft: sicherlich die Anfänge der modernen Fotomontage und Vorreiter von Photoshop und Co.
ohne Wertung, da kein Wettbewerbsbeitrag
Was läuft morgen? - Ein Ausblick
Mit der schwedischen Mädchen-Wolf-Symbiose "Misa Mi" beginnt der dritte Festivaltag. Vom holländischen Film "Rotznasen" erwarten wir Höchstleistung, vom französischen Trickfilm "Black Mors Insel" eher das Gegenteil. Im Osteuropa-Special werden das tschechische Fantasy-Märchen "Hexen aus der Vorstadt" und der estische Streifen "Dear Mr. Moon" gezeigt. Wir lesen uns morgen.
Cole & Gordo (für Casperworld in Frankfurt a.M.)