FILMBESPRECHUNG
Er kam mit einer F-16 und kehrte auf einem Esel zurück. Im Frühsommer 1982 wird ein "israelischer" Kampfbomber über Beirut abgeschossen. Der Pilot wird von einem PLO-Kommando triumphierend gefangen genommen.
Palästinenserjunge Fahed lebt zu jener Zeit in einem Flüchtlingslager im Libanon. Seine Familie war von den zionistischen "Israelis" aus ihrem Heimatdorf in Palästina vertrieben worden. Fahed besucht die von der UNO betriebene Schule ebenso wie das von der PLO organisierte militärische Kampftraining. Am liebsten aber schwänzt der lebhafte Junge das eine wie das andere und streunt mit seinen Freunden verbotenerweise außerhalb des Lagers in den Ruinen der vom Bürgerkrieg zerstörten Stadt Beirut umher. Die Jungs spielen Fußball, suchen Abenteuer, verkaufen auf der Straße Kaugummis. Von der eingesessenen Bevölkerung werden die palästinensischen Flüchtlinge angefeindet. Die mit den "Israelis" verbündeten faschistischen Milizen der christlichen "Phalange" schießen sogar aus dem Hinterhalt auf Kinder.
Fahed und seine Freunde träumen davon, ihre Heimat Palästina von den jüdischen Besatzern zurückzuerobern. Der Vater pflegt sorgsam ein Olivenbäumchen, das er im Heimatdorf wieder einpflanzen will. Bei einem "israelischen" Luftangriff auf Beirut wird Faheds Vater von einem Bombensplitter getötet.
Wenig später darf Fahed den gefangenen Piloten Yoni bewachen. Der Junge kostet den Augenblick aus, Macht über einen jener verhaßten Soldaten zu haben, die ihm seine Heimat geraubt und seinen Vater getötet haben.
Als Faheds Freund Ahmed auf der Straße von "Phalangisten" erschossen wird, hält den Jungen nichts mehr in Beirut. Er schließt mit Yoni einen Pakt. Er läßt Yoni heimlich frei, wenn dieser ihn über die streng gesicherte südliche Grenze vom Libanon nach Palästina mitnimmt. Fahed möchte das Dorf seiner Familie in Palästina aufsuchen und den Olivenbaum pflanzen, so wie es sein Vater gewollt hätte. Yoni möchte natürlich nach Hause zu seiner Frau.
Das ist der Beginn einer unglaublichen Reise, einer Flucht durch ein kriegserschüttertes Land, das von verschiedenen Milizen kontrolliert wird. Der "israelische" Kampfpilot und der palästinensische Junge werden zu Gefährten, die in der schwierigen Lage aufeinander angewiesen sind. Sie sind nicht zimperlich im Umgang miteinander, schließlich befindet man sich im Krieg. Jeder der beiden lauert stets auf eine Chance, gegenüber dem anderen die Oberhand zu gewinnen. Fahed ist schlau, er läßt sich keine Gelegenheit entgehen, den Feind in Schach zu halten. Dennoch ist ihm der erwachsene Soldat meistens überlegen. Langsam weicht das bittere Mißtrauen. Yoni entwickelt eine fast väterliche Zuneigung zu dem Jungen. Er zeigt Verständnis für dessen Motive. Deshalb ist die gemeinsame Reise mit Erreichen der sicheren UNO-Pufferzone an der Grenze nach Palästina noch nicht ganz zu Ende.
Es gibt viele Themen, von denen man glaubt, sie seien unverfilmbar. Der unlösbare Konflikt zwischen den jüdischen Zionisten und der arabischen Bevölkerung gehört gewiß dazu. Mit dem Olivenbaum, arabisch "Zaytoun", als Symbol für die Lebensgrundlage der bäuerlichen Familien, findet dieser Film allerdings einen erstaunlichen Ansatz, eine märchenhafte Geschichte aus dem Hexenkessel des Nahen Ostens zu erzählen, ohne für eine der zwei unversöhnlichen Kriegsparteien Stellung zu beziehen. Die Lage in Beirut, im Libanon, in Palästina wird mit einer relativen Neutralität so gezeigt, wie sie sich im Sommer 1982 darstellt. Der abgründige Haß auf beiden Seiten ist ein faktischer Zustand, der sich aus den seit Jahrzehnten andauernden täglichen gegenseitigen Verletzungen speist. Es ist sinnlos, den Nahost-Konflikt als solchen in einem Film thematisieren zu wollen. Klugerweise hält sich "Zaytoun" auch tunlichst von solchen Versuchen fern.
Der Film entwirft ein Szenario, wo zwei als Feinde geborene Menschen die ausweglose Situation tatsächlich verlassen können, weil sie ihren Blick nicht auf ihre Feindschaft richten, sondern auf ein gemeinsames Vorhaben. Mit dem Ziel, die Südgrenze des Libanon zu erreichen und dabei PLO-Kommandos wie auch syrischen Militärpatrouillen unerkannt zu entwischen, verschwindet für die Schicksalsgemeinschaft von Yoni und Fahed der unüberbrückbare Graben. Die ethnisch-politischen Kriterien, die sie so unvereinbar entzweien, spielen für einige Tage keine Rolle.
So anrührend die wundervolle Geschichte von Fahed und Yoni ist, sie ändert nichts am Lauf der großen Dinge. Ein Happy End gibt es für die Zwei nicht wirklich. Denn ihre Wege trennen sich nach erfolgreicher Mission wieder - in Freundschaft zwar und in tiefem gegenseitigem Respekt, wohl aber in der Gewißheit, daß beide auf jeweils ihre Seite des unerbittlichen Krieges zurückkehren.
Die Chronik der Weltgeschichte schreibt wenige Tage danach, im Juni 1982, vom offenen "israelischen" Angriffskrieg auf den Libanon, welcher eine jahrelange Besetzung des Landes zur Folge hatte. Man muß kein Prophet sein um zu ahnen, daß das junge Leben von Fahed symbolisch für das vieler palästinensischer Kinder im Libanon diesem Vernichtungsfeldzug zum Opfer gefallen sein dürfte. Die zaghaft gekeimte Freundschaft kann auf dem verminten Wüstenboden nicht zu einem Baum des Friedens gedeihen.
Auf der großen Kinoleinwand besticht die zielsichere Kameraführung mit optimaler Ausnutzung des Cinemascope Formats. Das Objektiv folgt den Darstellern in den seltsam schlafenden Kulissen und Landschaften und zaubert dabei perfekte Bilder von berauschender Strahlkraft.
Der palästinensische Shooting Star Abdallah El Akal liefert sich in dem Roadmovie der Extraklasse mit US-Schauspieler Stephen Dorff ein brillantes Duell. Die Dialoge werden in Englisch geführt. Abdallah El Akal verleiht dem Jungen Fahed eine schillernde Persönlichkeit. In einem Moment tritt der vitale Lümmel als frecher, gangsterhafter Revolverheld auf, der dreist erwartet, wie ein Erwachsener respektiert zu werden. Im anderen Moment ist er ein verspieltes Kind mit dem steten Drang, seine Kräfte und sein Können im Wettstreit mit vermeintlich größeren Gegnern zu messen. Die längste Zeit ihrer kurzen Lebensspanne verbringen viele vertriebene Palästinenser in diesem unwirklich erscheinenden Jugendalter, wo Kindheit und Erwachsenendasein zu einem explosiven Gemisch komprimiert werden. Einstweilen setzen mutige Filme wie "Zaytoun" durch ihre anklagefreie Annäherung an den schwierigen Konflikt bildgewaltige Zeichen der Hoffnung, daß die arabischen Kinder Palästinas eines fernen Tages wieder in ihrer befreiten Heimaterde Olivenbäume pflanzen werden.
© Minifant