Populärmusik aus Vittula ist eine im Jahre 2004 entstandene, 100-minütige, schwedisch-finnische Koproduktion des gebürtig iranischen Wahlschweden Reza Bagher (Buch & Regie). In Skandinavien war dieser Film einer der erfolgreichsten aller Zeiten, hierzulande so unbekannt, dass die DVD vom eher kleinen, aber unter Insidern für seine echten Filmperlen bekannten Label "good!movies" vertrieben wird. "Populärmusik aus Vittula" ist als ein absoluter Kritiker-Liebling zu bezeichnen, denn ich kenne keine einzige Negativstimme zu diesem Film, der sich nur sehr schwer in ein Genre einordnen lässt (wahrscheinlich auch deshalb auf der DVD lapidar als "Genre: Spielfilm" bezeichnet wird), aber am ehersten im Bereich Tragikomödie angesiedelt ist.
"Populärmusik aus Vittula" spielt im schwedisch-finnischen Niemandsland der 60er und 70er Jahre im kleinen Dorf Tornedalen in Pajala ("Vittula" dagegen ist nur der Kosename dieses Dorfes und ein schwedischer Vulgärbegriff, dessen Bedeutung im Film näher erklärt wird und eine Ode an die Fruchtbarkeit der dortigen Frauen sein soll). Zwei 7-jährige Freunde (süß und authentisch gespielt von Niklas Ulfvarson und Tommy Vallikari) bekommen eine Rock'n'Roll-Vinylplatte geschenkt, hören sie sich an, ohne zu ahnen, was Rock'n'Roll überhaupt sein könnte und sind von einer zur nächsten Sekunde dermaßen umgehauen und überwältigt von der Musik, dass sich fortan alles nur noch um Rock'n'Roll für die beiden dreht. Den konservativen Lebensansichten der Erwachsenen des Dorfes und dem körperlich sehr brutalen Vater eines der Jungen zum Trotz findet in den Köpfen der Buben ein Wandel statt, der nicht ohne Folgen bleiben soll.
Nach einem Drittel des Films sind die Jungen plötzlich 15 Jahre (nun, ebenso authentisch, gespielt von Max Enderfors und Andreas af Enehielm) und es wird ein Entschluss gefasst: "Man traut sich nichtmal in diesem Scheiß-Pajala zu träumen. Wir können in diesem Scheiß-Kaff nicht bleiben und langsam verrotten ... Irgendwann hau'n wir hier ab." In der 9. Schulklasse bringt ein neuer, moderner Musiklehrer von Außerhalb diesen beiden und zwei weiteren Jungen E-Gitarre spielen und Rock'n'Roll bei. Doch diese Bemühungen werden von allen Außenstehenden nur belächelt und verspottet. Bis es zur großen Schulaufführung kommt, in der die vier Jungs ihr Können unter Beweis stellen dürfen - mit durchschlagendem Erfolg: Die Mädels sind völlig aus dem Häuschen! Klar, dass die Jungs nun auch anderweitig bei den Mädels landen können. Und sogar die Erwachsenen müssen zugeben, dass die Musik gar nicht mal so schlecht ist.
[Achtung, dieser Absatz ist ein einziger Spoiler!] Der überregionale Erfolg scheint zum Greifen nah, der erste große Gig steht unmittelbar bevor, doch einer unserer beiden langjährigen Freunde schmeißt den Gig, trifft sich lieber mit einer alten Mädchenbekanntschaft. Der Gig findet zwar dennoch statt, doch ohne den Verräter, der den Sänger machen und die 2. Gitarre spielen sollte, findet die kaum begonnene Karriere dieser jungen Rock'n'Roll-Band ein jähes Ende. Der andere unserer beiden langjährigen Freunde ist so tief enttäuscht, dass er die Band und das Dorf verlässt und - wie wir gerade noch im Abspann des Filmes (bei eingeschaltetem, deutschen Untertitel aus den eingeblendeten, skandinavischen Zeitungsartikeln) erfahren können - als einziger international Karriere macht.
"Populärmusik aus Vittula" ist voller Emotionen jedweder Art. Der Zuschauer wird ständig hin und her gerissen zwischen lustigen Szenen, bizarr anmutenden Bildern, überraschenden und schockierenden Momenten, Dramatik pur und einem ziemlichen Aufgebot an sexualisierten Szenen und vulgären Worten durch alle Altersgruppen im Film hindurch, die aber niemanden wirklich stören werden, denn dies hier gekonnt eingesetzte Instrument teils recht bizarrer Sexualisierung & vulgärer Worte trägt letztlich dazu bei, den Film noch heiterer und amüsanter wirken zu lassen und hat letztlich auch keinen einzigen Kritiker gestört. Man könnte lediglich darüber diskutieren, ob die Altersfreigabe ab 12 Jahren nicht ein Stufe zu niedrig angesetzt war.
Die oder das "Dresdner" (ich nehme an, das "Dresdner Kulturmagazin") beschreibt den Film sehr treffend so: "Dieser schmissige Film quillt vor Lebensfreude fast über. In wunderbaren Bildern erzählt Bagher ... von zwei Jugendlichen und ihrem Ausbruch aus der spießigen Gesellschaft. Da geht es um Liebe, Besäufnisse und Brutalität, um Freiheit und Abenteuer. Das ist derb, lustig, dramatisch, betört die Sinne und reißt einen sofort mit."
Kurzum: Ein echte Filmperle!
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