Pleiten, Pech und Pannen
Eines Tages, es ist bereits vor vielen Wochen gewesen, erreichte mich eine PN mit der Information über den Termin und die Art des Ereignisses. Diese war verbunden mit der - na sagen wir mal - freundlichen Aufforderung, wohlwollend zu prüfen, ob es nicht möglich wäre, meinen – Arsch gefälligst dorthin zu bewegen, damit ich mal was anderes höre als immer nur das Selbe.
Nachdem ich also wie gefordert wohlwollend geprüft, Familie und Firma informiert hatte wurde ich mit dutzenden PNs bombardiert und schoss zurück und heuchelte Vorfreude. Durch diese Art des totalen Informationsaustausches wurde ich offensichtlich zunehmend dummer und zweifelte schließlich sogar daran, ob ich diese Reise nun aus Dummheit oder Neugier antreten soll. Ist egal, denn schließlich war alles so organisiert, dass ich nur noch mit einem finanziellen Totalschaden aus der Sache raus käme oder es würde ein Unglück passieren. Beides wollte ich nicht – also entschied ich mich dafür, alles so zu machen, wie es mittlerweile verabredet war:
Samstag: 30. November 2013. Ich war bereits 15 Minuten vor Abfahrt meines Zuges am Bahnhof. Das Frühstück hatte ich zuvor heruntergewürgt und war ein wenig aufgeregt. Hatte ich auch nichts vergessen? Fahrkarte, Hotelreservierung, Geld, Geschenke? Alles dabei – außer meinen Verstand. Den hatte ich ja schon früher verloren und noch nicht zur Gänze wiedergefunden. Wenn ich mich mit einem Vorwand verdrücken wollte, war es dafür nun wirklich zu spät. Als der Zug vor mir stand fasste ich allen Mut zusammen und startete in ein Wochenende voller Pleiten, Pech und Pannen – so dachte ich.
Dazu sollte es vorerst aber nicht kommen, denn bis etwa 100 Km vor Paris war der TGV absolut pünktlich. Aber dann bremste er aus Tempo 320 Km/h auf Tempo 0 Km/h, blieb eine Zeit lang stehen und schlich in Schrittgeschwindigkeit einige Minuten weiter bis er wieder stehen blieb. So ging das etwa 15 Minuten. Manchmal kam uns ein Zug entgegen, mal überholte uns ein anderer TGV auf dem Gegengleis. Die Durchsage, dass ein Signalfehler dafür verantwortlich sein sollte, wirkte auf mich nicht gerade beruhigend. Irgendwann ging es dann aber doch mit gewohnter Höchstgeschwindigkeit weiter und ich erreichte Paris Gare de L´est mit einer Dreiviertelstunde Verspätung und nach weiteren 90 Minuten sogar mein Hotel.
Beim Auspacken stellte ich fest, dass ich meine Zahnbürste vergessen hatte. Also dackelte ich los, zunächst in die falsche Richtung, dann aber in die Richtige und konnte meinen Bedarf am begehrten Hygieneartikel in der Filiale eines deutschen Discounters mit vier Buchstaben befriedigen. Zurück im Hotel erreichte mich ein Anruf auf dem Handy. Milu teilte mir mit, dass alle anderen nur noch auf mich in der Lobby des Hotels warten. Und ich möge doch bitte meinen Ar... – ach nein – so hat es es nicht gesagt. Aber ich gehorchte und kam kurz darauf um die Ecke und betrat die Halle, die von einem, ganz besonderem Reiß geprägt war. Sie präsentierte sich völlig befreit von jeglicher Stilrichtung und bot mit einem ordentlichen Hauch von Minimalismus genauso wenig Eleganz wie Gemütlichkeit.
Wir machten uns miteinander bekannt, denn außer Milu kannte mich schließlich niemand. Und dann tigerten wir los zu einem Restaurant in der Stadt – von hier aus vielleicht 2 Km entfernt. Unterwegs gab es Gelegenheiten zu verschieden kurzen und oberflächlichen Gesprächen. In dem Spieselokal warteten bereits einige Fans aus einigen Ländern und es kamen nach und nach noch mehr von den einen und anderen dazu. Vielleicht waren es am Ende 35 bis 40 Personen, die versuchten, sich auf deutsch, französich, niederländisch, englisch oder sächsisch zu unterhalten. Die Zeit verging recht schnell. Das Essen hatte geschmeckt und der Rotwein auch, aber nur ein ganz kleines Gläschen, denn niemand wollte den Höhepunkt das heutigen Abends im vollen Rausch erleben. Wir bewegten uns bald nach dem Essen in Richtung Theater, wo wir uns anders berauschen lassen wollten. Das Konzert der Poppys sollte bald losgehen.
Nachdem die Veranstaltung beendet war, begaben wir uns völlig erfolglos auf die Suche nach einem Lokal, in dem wir uns bei einem gepflegten Bierchen über das Erlebte austauschen wollten. Weil es uns aber leider nicht gelang, ein geöffnetes Lokal zu finden - wir waren dabei nicht einmal anspruchsvoll, wären gern auch bei einem Araber, Afrikaner oder Ostasiaten eingekehrt – aber alles war geschlossen. So blieb uns nur noch die Lobby im Hotel. Bei Cola, Limo und Wasser – was anderes gab es nicht in dem Getränkeautomaten, kam wie man sich vorstellen kann, schnell eine ausgelassene Stimmung auf. – Also am Ende des Tages: Pleiten, Pech und Pannen.
Den Sonntag, 1. Dezember 2013 gestaltete jeder nach eigenen Vorstellungen. Ich nutzte die Zeit für meinen sonntäglichen Kirchgang, der mich wieder in die Stadt führte. Die Kirche war ein im 12. Jahrhundert errichteter spätromanischer Bau im Kuchenbäcker-Stil, Bauweise Blätterteig. Diesen Stil erkannte man vor allem im Inneren, wo der Putz teilweise so sehr von den Wänden blätterte, dass er den Blick zum Mauerwerk frei gab. Umwelteinflüsse und Kerzenruß verliehen der maroden Einrichtung einen eher gedämpften Glanz. Der Pfarrer fügte sich in diesen Raum ein, als wäre er ein Teil von ihm – ja, auch er hatte sicherlich schon bessere Zeiten erlebt. Wenn Papst Franziskus ein Beispiel für eine Kirche in Armut benötigt – hier ist es zu finden. Die Orgel hatte nur zwei Register. Ihre Dimension täusche aber mehr vor. Vielleicht hatte der Organist die anderen Register noch nicht gefunden, oder sie konnten nicht (mehr) benutzt werden. Ihr Klang war gar nicht mal so unübel. Die unverkennbare französische Klangfärbung des Barock wälzte sich schwer über die Gemeinde und unterstrich den bescheidenen Charakter der ganzen Atmosphäre.
Nach der Kirche fand vor der Kirche der Wochenmarkt statt. Scharenweise strömten die dem Kaufrausch verfallenen Bürgerinnen und Bürger aus allen Richtungen herbei um ihren Bedarf an Gütern des täglichen Lebens zu decken. Obst, Gemüse, Südfrüchte – ich nehme an, alles aus biologischem Anbau, denn wenn man sich beim Bezahlen zu viel Zeit nahm, verwelkte die Ware bereits. Es gab Spielzeug für die Kleinen, kostbar anmutendes Geschmeide aus fernöstlichen Herstellungsbetrieben, Elektrogeräte mit und ohne Verpackung, Rechnung oder Garantiekarte etc. Hausrat aus wertbeständigem Kunst-Granulat, sowie leichtgewichtiges Kochgeschirr aus Edelmetall mit geprägtem Gütesiegel „Made in GDR“ und vieles anderes. Selbst die Fleisch- und Wurstwaren sahen unter der rötlichen Leuchtröhre appetitlich aus und erregten einen sonst schwer erkennbaren Schimmer von Frische.
Ich machte lieber einen Spaziergang an der Seine, bis mich der Hunger in ein kleines, von einem Araber geführtes Schnellrestaurant mit Küchenpersonal aus Indien oder Pakistan lockte. Spottbillig, für nur 6,50 € einen mehrlagigem Boeuf Americain avec Fromage, Pommes Frites in Hülle und Fülle einschließlich Majonäse und Ketchup und einer Cola. Es hat geschmeckt, ich war gesättigt und es wurde mir auch nicht schlecht. Bald darauf traf ich mich mit all den anderen, um das Theater von gestern Abend ein zweites Mal zu erleben.
Nach der Vorstellung hatten wir mehr Glück bei der Suche nach einem Lokal. Ostasiatische Feinkost mit französischem Weißwein aus dem Steinkrug bis zum Abwinken. Einigen hat es so gut geschmeckt, dass sie sogar noch einen Nachtisch bestellten. Ich hielt mich lieber an den Wein und an den Wein und an den Wein. Zum Schluss haben wir die Rechnung ohne den Wirt gemacht. In der bereits beschriebenen Lobby unseres Hotels fand der Abend ein spätes Ende mit langen Gesprächen, die nun auch mal etwas privater und persönlicher wurden.
Am Montag, den 2. Dezember 2013 stand die Abreise auf dem Programm und ich machte mich mit Samuel auf den Rückweg zum Bahnhof mit Abstecher in Notre Dame und Cité. Zu Hause bin ich auf die Minute pünktlich wieder angekommen.
Abschied tut immer etwas Weh. Aber ich denke mal, dass wir uns wiedersehen. Bitte rechtzeitig den Termin bekanntgeben, damit ich wieder schönes Wetter bestellen oder mitbringen kann.
PS: unter dem Titel „für den ersten Eindruck gibt es keine zweite Chance“ werde ich in ein paar Tagen noch ein paar Zeilen über die Konzerte schreiben. Ihr müsst einsehen, das hätte in diesem Bericht gar keinen Platz mehr.
Servus Choralix
Wir leben alle unter dem gleichen Himmel, aber wir haben nicht alle den gleichen Horizont. (Konrad Adenauer)
Dieser Beitrag wurde bereits 1 mal editiert, zuletzt von »Choralix« (3. Dezember 2013, 23:41)